Voigtländer
Vitessa III L Typ 133
Vierhundert-Mark-Hightech-Backstein
aus dem Jahr 1957 von

Als
ich zum ersten Mal bewusst eine Vitessa bei den Gebrauchtkameras eines Fotoladens
wahrnahm, das war schon lange nachdem die letzte ihrer Art überhaupt gebaut
worden war, da wunderte ich mich über zweierlei: erstens über den merkwürdigen
Stummel einer Teleskopantenne, welcher aus ihr herausragte und zweitens über
den hohen Preis, den man für das Gerät auch Ende der 70er noch zu zahlen hatte.
Das mit dem Preis ist schnell erklärt: wirklich gute Zutaten kosten eben!
Aber der verchromte Stift... der macht dieses Gerät zumindest unverwechselbar!
Nur: schön fand ich die Vitessa damals nicht. Auch viel zu schwer und dass
sie wesentlich schneller als andere mit Schnellspannhebel sein sollte, das
bezweifle ich noch heute. Nun ist das Ding allerdings Kult. Es gibt wahre
Fangemeinden von Vitessa - Anbetern. Denen möchte ich auf keinen Fall auf
die Füße treten. Also: wer wirklich nur Gutes über diese Kamera erfahren möchte,
der suche lieber in entsprechenden Foren und Vereinen. Denn schön finde ich
die Vitessa immer noch nicht! Allerdings unverwechselbar!
Im
Ruhezustand ist die Vitessa glatt mit abgerundeten Ecken, bis auf die zwei
Knöpfe auf der Oberseite stört da nichts. Soll sie aber zum Einsatz gebracht
werden, ist es wie der 24. am Adventskalender: zur Bescherung ein Doppeltürchen!
Drückt man auf den Auslöser, öffnen sich die beiden schützenden Klappen und
das Objektiv schiebt sich heraus.
Gleichzeitig wächst die "Combitaste" gen Himmel. Mit einem Druck des
Zeigefingers der linken Hand wird der Verschluss gespannt und der Film transportiert,
das funktioniert wie bei einem Kugelschreiber mit extrem langem Hub. Der rechte
Daumen stellt über ein Rändelrad an der Hinterseite des Gehäuses scharf und
der Zeigefinger der rechten Hand löst aus (oder auch nicht).
Die Vitessa liegt schwer in der Hand - kein Wunder bei über 600 Gramm Leergewicht!
- und das glatte Äußere ist einem sicheren Halt nicht immer dienlich. Manchmal
sind Ecken und Kanten ja doch zu etwas nütze. Doch halt: die Tragösen ragen
rechts und links sehr scharfkantig aus dem Gehäuse, das ist das einzige, das
am Design schlecht gelöst wurde. Apropos Design: die Form steht hier in manchem
über der Funktion. Auch wenn man damit warb man könne superschnelle Fotoserien
schießen ohne die Kamera vom Auge zu nehmen, die Objektive seien Spitze, die
Entfernungsanzeige sei eingespiegelt und gekoppelt, es gäbe Parallaxenausgleich
und Lichtwertmessung, erst der einzigartige Look machte diese Kamera zum Objekt
der Begierde.
Dass Begierde allerdings nicht unbedingt verkaufte Stückzahlen bedeutet, haben
die Hersteller auch bald gemerkt: zu spät kam diese Hightech Kamera zu der
Gruppe von potentiellen Käufern, die bereit waren einen solch hohen Preis
zu zahlen. Die wandten sich lieber einer Spiegelreflex mit Wechselobjektiven
wie zum Beispiel der Edixa zu. Oder halt einer schon damals automatisierten
wie z. B. der Agfa Optima. Die Firma Voigtländer versuchte dem Rechnung zu
tragen indem sie bei der Vitessa T auf den Faltbalgen verzichtete um nun auch
Wechselobjektive einbauen zu können. Das ganze sah das aus wie eine Faltbalgen
Vitessa im geschlossenen Zustand mit aufgeflanschtem Objektiv. Hässliches
Entlein! Die T-Modelle spielten jedenfalls ihre Entwicklungskosten nicht herein,
wer 400,- DM für die Kamera ausgeben sollte, dazu noch 200.- bis 350.- DM
für jedes weitere Objektiv, der landete erst recht bei den Spiegelreflexen.
Ab Mitte der sechziger Jahre
geriet Voigtländer in eine immer größere Absatzkrise, die schließlich am 4.
August 1971 zur Schließung des Voigtländer-Werks führte.
Der Kult-Name Vitessa ist im Laufe der Jahre wie viele andere große Namen
zu einem reinen Marketinglabel verkommen.
Die Namensrechte sind letztendlich
für 100.000.- DM an die Plusfoto GmbH übergegangen, die Allerweltkompakt-
und Digitalkameras in Singapore herstellen lässt.

"Vollendete Bilder – verblüffend einfach und schnell
Das
ist der entscheidende Vorteil der Vitessa Fotografie: hochwertige Aufnahmen
bei einem Minimum an Bedienungsaufwand. Ein Druck rechts - Aufnahme, ein
Druck links – sofort wieder aufnahmebereit. Darüber hinaus bietet Ihnen
das Modell mit Ultron 1:2 noch als letzte technische Vollendung den eingebauten
Belichtungsmesser.
Ein Blick – und Sie können die richtige Lichtwertzahl sofort ablesen,
ein Griff – der Lichtwert ist am Verschluss eingestellt und die Belichtungszeit
mit der Blende automatisch gekuppelt. So einfach machen Sie mit der Vitessa
Ihre Aufnahmen: eine schöner als die andere.
Vitessa mit Selen-Belichtungsmesser, Synchro Compur Verschluss
mit Lichtwertanzeige und Objektiv Ultron 2/50 mm DM 418.
Vitessa mit Color Skopar 1:3,5 mit den Vitessa Vorzügen aber ohne Belichtungsmesser
DM 268.-"
|
Werbung 1957

Von den Vitessa Kameras sind zwischen 1953-1958 insgesamt rund 300.000
Stück gebaut worden, zunächst die Vitessa Modelle I - III mit ausklappbarem
Objektiv, dann die Vitessa T ohne Faltbalgen, dafür aber mit auswechselbaren
Objektiven.
Die komplette Modellpalette findet sich auch hier
>>>>>
|
 |
 |
 |
 |
 |
Vitessa (1953-54) Type 125 - erst seit 1954 mit Zubehörschuh - anfangs
noch mit Compur Rapid - später dann mit Synchro-Compur Verschluss und
Ultron 2/50 mm |
Vitessa II (1955-57) Typ 134 mit Zubehörschuh und Tragösen mit Synchro-Compur
Verschluss und Ultron 2/50 mm oder Color Skopar 3,5/50 mm
|
Vitessa III L (1957) Typ 133 (diese hier) wie Vitessa II, aber mit Selen-Belichtungsmesser,
Synchro Compur Verschluss mit Lichtwertanzeige - Ultron 2/50 mm oder Color
Skopar 2,8/50 mm |
Vitessa III N (1957) wie Vitessa III L, aber ohne Belichtungsmesser -
Synchro Compur Verschluss mit Lichtwertanzeige - Color Skopar 3,5/50 mm
|
Es folgten die Vitessa T Modelle mit Synchro Compur Verschluss -
Color Skopar 3,5/50 mm und weiteren Wechselobjektiven (Skoparet
3,4/35, Dynaret 4,8/100 und Super-Dynaret 4/135) |
Die komplette Modellpalette findet sich hier
 |
|